Mittwoch, 25. September 2013

Wie wird man zum Stoiker?


Einmal angenommen wir versprechen uns von so etwas Angestaubtem wie der stoischen Philosophie und von so altertümlichen Charakteren wie Seneca und Marc Aurel tatsächlich Lebenshilfe und so etwas wie einen Weg zum Glück, so bleibt die Frage: Wie wird man denn nun zum praktizierenden Stoiker?

Der amerikanische Philosphieprofessor William B. Irvine beschreibt in seinem genialen Buch "A Guide to the Good Life" sehr strukturiert den Weg dorthin. Aus den Schriften der Stoiker extrahiert er zunächst eine Handvoll "Mentaltechniken", um dann weitere Anwendungen in verschiedenen Lebenssituationen zu beschreiben. Bei letzterem kommt er immer wieder auf eine Variation der vorgestellten Mentaltechniken zurück.

Diese sind:

1) Negative Visualisierung

"Denke nach, es könnte schlimmer kommen!" "Und ich dachte nach und es KAM schlimmer!" lautete ein bekannter Witz aus meiner Jugend. Der erste Teil jedoch beschreibt haargenau, was Irvine mit negativer Visualisierung meint. In jeder Lebenssituation ist es mir möglich meine Freude am Augenblick schlagartig zu erhöhen, wenn ich mir klarmache wie fragil unser Dasein ist. Vorstellungen wie "mein Kind könnte morgen tot sein!" oder "ich könnte genausogut im  Rollstuhl sitzen!" führen bei dosierter Anwendung (und der richtigen Schlußfolgerung daraus) nicht etwa zu Depressionen und sorgenvollem Grübeln, sondern zu erhöhter Wertschätzung dessen was man hat. Wie oft gehen uns unsere Kinder auf die Nerven wenn wir ehrlich sind?
Machen wir uns aber klar, dass eine Zeit kommen wird, in der wir jeden dieser nervigen Augenblicke liebend gerne nocheinmal erleben würden (und sei es auch nur weil sie erwachsen geworden sind!) steigt die Freude an unseren Kleinen sofort.
Auf diese Weise habe ich schon oft scheinbar langweilige Augenblicke, öde Tätigkeiten und stumpfsinniges Herumgesitze in Augenblicke der Lebensfreude verwandelt.

2) Die Trichotomie der Kontrolle

Meiner Meinung nach das Herzstück der Stoa. Epiktet teilt die Dinge dieser Welt auf in jene über die wir Kontrolle besitzen und jene, über die wir keine besitzen. Diese Zweiteilung wird bei Irvine zu einer sinnvolleren Dreiteilung, indem er sagt:

a) Es gibt Dinge über die besitzen wir keine Kontrolle, wie beispielsweise das Wetter, andere Menschen, Tod und Krankheit etc.
b) Es gibt Dinge über die besitzen wir die volle Kontrolle, nämlich unsere Ansichten und Handlungen (und das waren sie im Übrigen auch schon ;-)).

und

c) Es gibt Dinge über die besitzen wir nicht die volle Kontrolle, aber einen gewissen Einfluss. Als Beispiel nennt er ein Tennisspiel. Ich habe keine Kontrolle darüber ob ich dieses Spiel gewinne oder nicht, aber ich kann durch die entsprechende Vorbereitung meine Gewinnchancen erhöhen.
Da die Stoiker sich natürlich nicht von äußerlichen Dingen wie Sieg oder Niederlage abhängig machten empfiehlt Irvine hier die Internalisierung von Zielen. In dem gewählten Beispiel des Tennisspieles ist daher nicht der Sieg das Ziel, sondern einfach das beste Tennis zu spielen, das mir in diesem Moment möglich ist.

Laut den Stoikern rührt das meiste Leid der Menschen aus dem Hadern mit und der Sorge um Dinge die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und das sind ganz schön viele!

3) Fatalismus bezüglich Vergangenheit und unmittelbarer Gegenwart

Uhhhh...da ist es, das böse Wort. Ja, die Stoiker waren Fatalisten.Und nein, sie haben deswegen NICHT die Hände in den Schoß gelegt und alles dem Schicksal anheim gestellt. Ein Widerspruch? Nein, meint Irvine. Denn der Fatalismus der Stoiker bezog sich nur auf die Vergangenheit und die unmittelbar stattfindende Gegenwart. Genau genommen ist dies eine Anwendung der Trichotomy der Kontrolle (siehe oben). Denn sowohl die Vergangenheit als auch die jetztige Gegenwart sind Dinge die außerhalb jeglicher Kontrolle liegen. Allerdings beginnt meine, zumindest teilweise, Kontrolle bereits 1/2 Sekunde in der Zukunft.
Darum waren einige Stoiker (im Gegensatz zu dem Kyniker Diogenes) aktiv am Staatswesen und damit an der Zukunftsgestaltung beteiligt.

4) Selbstverleugnung, "the dark side of pleasure"

Noch ein böses Wort, "Selbstverleugnung" brrrrrr. In einem christlichen Kontext verursacht das Wort mir seltsamerweise Bauchweh und ich denke an salbungsvolle aufopfernde Nonnen und sich selbst zerstörende Verhaltensweisen. Bei den Stoikern jedoch schwingt etwas anderes mit, was man am ehesten als Training oder Vorbereitung bezeichnen könnte. Dinge wie zeitweise freiwillige Armut, Fasten, Schmerz ertragen und Selbstüberwindung im Sport haben weniger den Charakter eines himmlischen Tauschgeschäftes sondern sind ein Test für den eigenen Fortschritt im Stoizismus. Auf gar keinen Fall dürfen sie öffentlich gemacht werden um die eigene Überlegenheit unter Beweis zu stellen.
In seinem Handbuch sagt Epiktet an einer Stelle :"Wenn Du Durst leidest, nimm einen Schluck Wasser in den Mund, spucke ihn wieder aus und sage keinem was davon!"

5) Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion

Meditation im westlichen Kontext ist etwas anderes als die östliche Versenkung mit dem Ziel alle Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Meditation bedeutet in diesem Zusammenhang: Über etwas nachdenken, reflektieren, von verschiedenen Seiten beleuchten. Und worüber dachten die Stoiker nach? Über ihren eigenen Fortschritt auf dem Weg zum stoischen Weisen. Bei Seneca gibt es eine regelrechte abendliche Gewissensprüfung anhand eines Fragenkataloges, während Mark Aurel ein Tagebuch mit Selbstermahnungen führte. Diese sind uns bis heute als seine "Selbstbetrachtungen" erhalten.

Wer auf Selbsterfahrung steht, und diese Techniken mal ausprobieren möchte, dem empfiehlt Irvine auf keinen Fall jetzt mit allen fünfen durchstarten zu wollen. Zunächst solle man es mal mit der negativen Visualisierung versuchen, und danach mit der Trichotomy der Kontrolle. Besonders in letzterem, konsequent zu Ende gedacht, liegt das Potential für einen Quantensprung im Denken. Versucht mal einen Arbeitstag lang, Euch nur um die Dinge Sorgen zu machen, die wirklich in Eurer unmittelbaren Kontrolle liegen, nämlich EUER Denken und EUER Handeln.

Das war natürlich nur ein oberflächlicher kurzer Abriss. Irvine ist in seiner Argumentation weitaus eloquenter, daher empfehle ich sein Buch wärmstens!

Hier gibt es übrigens noch einen Abriss des Buches aus einem anderen Blickwinkel!

Freitag, 20. September 2013

Zen und Stoa



Welches sind denn nun die angeblichen Parallelen zwischen Zen-Buddhismus, einer fernöstlichen Religion und der Stoa, einer verstandesbasierten griechisch-römischen Philosophie?
Folgendes gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt zählt Positionen auf, in denen beide Weltanschauungen m.E. nach nahezu deckungsgleich sind. In Abschnitt zwei finden sich Positionen die einander sehr ähnlich sind, während Abschnitt drei deutliche Unterschiede aufzeigt.


1)     Deckungsgleiche Positionen

-         Erkenntnis und Akzeptanz der Vergänglichkeit aller Dinge
-         Relativierung von vermeintlichen Werten wie Erfolg, Macht, Reichtum und Gesundheit.
-         Es ist wichtiger sich selbst und seine Anschauungen zu ändern als die Welt.
-         Die Mässigung in Konsum und Lebensstil ohne übertriebene Askese.
-         Die Verbundenheit aller Dinge (Logos ß-> Indras Netz)
-         Der momentane Augenblick als wichtigster Punkt in der Zeit.
-         Wertschätzung harter körperlicher Arbeit (Musonius Rufus)


2)     Parallelen

Stoa
Zen(-Buddhismus)
Glück entsteht durch das Aufgeben der Begierden und naturgemäßes Leben.
Leidfreiheit entsteht durch das Aufgeben der Begierden.
Gott eher unpersönlich als Prinzip, das den Kosmos durchdringt
Gott mehr oder weniger gleichgültig
4 Tugenden
10 „Gebote“, „Übungen“, „Verpflichtungen“ für ein tugendhaftes Leben
Beobachtung und Wertschätzung der Natur zu Lernzwecken und zur Transzendierung allzu irdischer Gedanken.
Besondere Naturverbundenheit, ausgedrückt in verschiedenen, vom Zen inspirierten Künsten.
Was der Gemeinschaft gut tut ist auch gut für jeden Einzelnen
Die Gemeinschaft ist wichtiger als der Einzelne (wohl das jap. Erbe des Zen ;-))

3)     Unterschiede

Stoa
Zen-(Buddhismus)
Hauptinstrument ist die Vernunft unter Ablehnung des Irrationalen
Hauptinstrument ist „Zazen“ unter Ablehnung des Rationalen
Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion
Meditation  im Sinne von Versenkung und dem Vorbeiziehen lassen aller Gedanken
Kein Einräumen irgendwelcher Rechte für Tiere wegen derer vermeintlichen Vernunftlosigkeit
Mitleid für und Rücksichtnahme auf ALLE fühlenden Wesen.
Kein Rückzug aus der Welt in abgesonderten Gemeinschaften
Mönchtum zumindest teilweise erforderlich für die Ausbildung
Tätigkeiten sollen immer sinnvoll sein
Ideal der allerhöchsten Unnützlichkeit
Gemütsruhe als Ziel
Satori als Ziel


Mittwoch, 11. September 2013

Der Codex der Stoiker

Diese nette Zusammenfassung stoischer Prinzipien habe ich im englischsprachigen Netz gefunden. Entschuldigt die etwas holprige Übersetzung. Das Original findet Ihr hier:

The Stoic Code


o. (sic!) Entscheide zunächst wer Du sein willst. Dann was zu tun ist.

1. Lebe vornehm!

2. Kontrolliere Dich selbst und damit Dein Schicksal!

3. Lass Dich nicht durch äußere Dinge anfechten!

4. Erwarte nichts; lass Dich durch nichts überraschen!

5. Sei zufrieden damit, in diesem einen Moment naturgemäß zu leben.

6. Finde Deine Kraft in ständigem Streben nach der Wahrheit, und erlaube weder verräterischen Gedanken, noch irgendetwas anderem, Dich davon abzuhalten.

7. Tugend ist nichts anderes als die rechte Vernunft. Verfolge sie bis zum Abwinken!

8. Arbeite an dem was direkt vor Dir liegt, folge der rechten Vernunft, ernsthaft, kraftvoll und ruhig und lass Dich durch nichts ablenken!

9. Für einen Verstand bestehend aus wirksamen Fertigkeiten und Durchhaltevermögen ist nichts unmöglich.

10. Alles Böse wird geboren aus Verblendung, alle Verkommenheit aus Trugschlüssen, alle Probleme aus Unwissenheit.

11. Glaube niemals dass ausgerechnet DU die Wahrheit kennst, denn das ist die Königin der Wahnvorstellungen.

12. Veränderung liegt aller Realität zugrunde. Alle scheinbare Stabilität wird uns nur durch unsere begrenzte Perspektive vorgegaukelt.

13. Sichere Dir Deine Freiheit, aber nicht durch die Erfüllung aller Deiner Wünsche, sondern durch das Ausreißen aller Begierden.

14. Nichts was nicht zu Dir gehört darf an Dir haften, lass Dich durch nichts übermannen, was Dir bei seiner Entfernung Schmerzen bereiten würde.

15. Überlass die Materie der Natur, sie ist ihr eigen und sie tut damit, was ihr gefällt. Sei fröhlich und mutig angesichts aller Dinge, erinnere Dich, dass nichts von dem, was wirklich Dein eigen ist, umkommen kann.

16. Handle nicht als Bürger einer Nation, oder als Mitglied irgendeiner Gruppierung oder eines Clübchens, denn Du bist ein Bürger des Universums.

17. Nur weil Deine eigene  Kraft einer Aufgabe nicht gewachsen ist, heißt das nicht dass sie jenseits der Macht der Menschen liegt, WENN aber etwas innerhalb der Macht und des Zugriffs von Menschen liegt, so gehört es auch in Deinen Einflussbereich!

18. Erlaube den Wahrheitssuchenden nicht, sich selbst zu verblenden. Versuche aber nicht diejenigen zu erleuchten, die verblendet bleiben wollen, denn sie werden daran festhalten, was auch immer du ihnen aufzuzeigen versuchst

19. Dein Wort und Dein Urteil sind die einzigen Dinge in dieser Welt die unzerstörbar sind.


20. Dein Wille und die Kraft die ihn führt sind die einzigen Dinge in dieser Welt die unerschöpflich sind.

Freitag, 6. September 2013

Die Stoa und der Suizid




Nein, das wird keine gelehrte Abhandlung über die theoretische Sichtweise der Stoiker bezüglich Selbstmord.
Pünktlich zum Start dieses Blogs ereignete sich der "Ernstfall", ein Lebensereignis, an dem sich eine einmal gewählte Philosphie bewähren muss.

Ein guter Freund von mir, nennen wir ihn Michael, hat sich selbst getötet.

Wie immer bei einem solchen Ereignis stellen wir Hinterbliebenen uns die Frage: Hätten wir es verhindern können? Waren wir nicht aufmerksam genug? Was hat er gedacht? Gefühlt? Hatte er Qualen? und...und...und...
Natürlich glauben wir jetzt im Nachhinein, dass wir Anzeichen für eine Depression hätten erkennen müssen. Jede erinnerte Äußerung wird jetzt auf die Goldwaage gelegt, jede Charaktereigenschaft, jede Eigenart und jede Macke neu interpretiert.

In der Stoa geht es immer wieder um die Frage, was kann ich kontrollieren, und was nicht?

- Ich kann nicht kontrollieren, was ich in der Vergangenheit an Zeichen, Äußerungen und Beobachtungen übersehen und fehlgedeutet habe.

- Ich kann das Verhalten, die Gedanken, die Folgerungen und die mögliche Erkrankung eines Anderen, und sei es auch mein engster Freund oder Bruder, nicht kontrollieren.

- Und letzten Endes: Ich kann nicht kontrollieren, auf welche Art und Weise der Kosmos das Geschaffene zurückfordert..

...liegt es aber nicht in Deiner Macht, was schert es Dich dann?- Epiktet


Was ich kontrollieren kann ist:

- Meine eigene Interpretation des Geschehenen.

- Welches Resümee ich aus möglichen eigenen Fehlern ziehe und wie ich in der Zukunft mit ähnlichen Anzeichen bei Freunden und Bekannten umgehe.

- Wie ich das Geschehene verarbeite, betrauere und durchlebe.

- Und: Wie ich in Zukunft mit mir selbst und meinem Leben schonender und weniger fordernd umgehen kann.

In Hundert Jahren sind wir alle tot und kein Hahn kräht mehr nach uns.
Danke Michael, dass ich Teil Deines Lebens sein durfte.

Dienstag, 3. September 2013

Was die Anderen denken



Freunde gewinnen! Netzwerke pflegen! Impression Management!

Wer zu diesen Themen googelt wird eine Vielzahl an Buch- und Seminarangeboten finden. Das Thema ist im Grunde immer das Gleiche. Wie wirke ich sympathisch? Wie mache ich auf mich aufmerksam? Wie wirke ich selbstsicher und kompetent? Wie gewinne ich Ausstrahlung? Wie schinde ich möglichst viel Eindruck?
Der Anwendungsbereich kann dabei sowohl der berufliche Alltag, die Karriere, die Partnersuche oder das private Umfeld sein.

Nun ist daran aus stoischer Sicht zunächst mal nichts auszusetzen. Die Stoa sieht den Menschen als soziales Wesen an, der die Gemeinschaft Anderer braucht um naturgemäß und damit glücklich zu leben. Seneca rät ausdrücklich zur Pflege von Freundschaften, und Musonius ist ein großer Befürworter von Ehe und Familie.
Allerdings liegen Sinn und Zweck von Beidem bereits in sich selbst.

Beginne ich jedoch damit Freundschaften, Bekanntschaften, "Netzwerke" aus Kalkül zu suchen, um beispielsweise meine Karriere voran zu treiben, oder aber auch um meinen sexuellen Appetit zu stillen, gerate ich in die Situation, dass ich einer in sich sinnvollen, schönen und wertvollen Sache einen "Zweck" aufpropfe, der die ganze Angelegenheit pervertiert.

Ich komme dabei recht schnell in die Situation, Anderen so sehr gefallen zu wollen, dass ich, um nicht anzuecken, meine eigenen Werte und Vorstellungen hinten an stelle. So rede ich vielleicht meinem Chef nach dem Mund, obwohl ich anderer Meinung bin als er, weil ich auf die ausstehende Beförderung schiele. Oder die heiße Braut am Tresen lästert über irgendwelche Personen im Raum und ich mache fleißig mit, weil ich ihr halt schlicht an die Wäsche will, und glaube sie könnte mich sonst für langweilig halten.

Der Witz an der Sache ist der, dass ich möglicherweise in beiden Situationen besser dastehen würde, wenn ich mich zu meinen Werten und Ansichten offen bekannt hätte. Nicht nur dass die meisten Chefs keine servilen Ja-Sager mögen, auch Frauen testen Männer oft auf deren Selbstbewusstsein und Standfestigkeit, in dem sie bewusst eine Meinungsverschiedenheit provozieren.
Eine Kollegin von mir, eine junge, attraktive Frau die beim Ausgehen recht oft angesprochen wird, macht in der Disco beispielsweise gerne die Musik madig, sofern diese ihrem Verehrer zu gefallen scheint. Kippt dieser in seiner Meinung um und findet die Musik nun plötzlich auch nicht mehr so toll, ist er bereits ausgesiebt.

Wisse: sobald Du Dich mit der Außenwelt einlässt und einem da draußen zu gefallen wünschst, so hast du den Boden unter den Füßen verloren. 
(Epiktet-Handbüchlein der Moral, 23)

Trotz ihrer Wertschätzung für Familie und Freundschaft betrachten die Stoiker (ganz im Gegensatz zu moderner Ratgeber-Literatur) unseren Ruf, unser Ansehen als etwas, was völlig außerhalb unserer Kontrolle liegt. Was Andere über uns denken liegt ganz alleine in deren Machtbereich! Glaube ich aber die Kontrolle über etwas zu besitzen, das aber in Wahrheit völlig unabhängig von meinen Bemühungen ist, werde ich über kurz oder lang scheitern und verzweifeln.

Hältst du für frei, was seiner Natur nach unfrei ist, und für dein eigen was fremd ist, so wirst du viele Schwierigkeiten haben, Aufregung und Trauer, und wirst mit Gott und allen Menschen hadern. (Epiktet-Handbüchlein der Moral, 1)  

Ich weiß nicht wie es dem Leser geht, für mich war das erstmal schwere Kost. Ich muss doch irgendwie die Möglichkeit haben, zu steuern wie andere mich wahrnehmen! Und wenn ich mich entsprechend verhalte, erkennt mein Umfeld auch was ich für ein netter Kerl bin, oder?
Allerdings gab es im beruflichen Alltag mehrere Schlüsselerlebnisse, die alle nach dem gleichen Schema abliefen, und auf eben diese Machtlosigkeit bezüglich der Meinung Anderer hinzudeuten schienen.
Ein Beispiel:
 Ich fällte eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen, in der Meinung Kollege X damit einen Gefallen zu tun (was objektiv auch so war!) und erfuhr nach einigen Wochen hintenrum, dass dieser Kollege herum erzählte wie arrogant ich sei, dass ich ihn hätte vorführen wollen etc. 
Oder aber ich bekomme mit wie Gespräche bei denen ich als Zuhörer anwesend war, und die meiner Ansicht nach sachlich und konstruktiv verlaufen sind, von Kollegen plötzlich so dargestellt werden, dass einer der Beteiligten in wesentlich schlechterem Licht dasteht als er verdient hätte.
Oder ich weise einen Kollegen, um ihn zu schützen, diskret auf ein Fehlverhalten seinerseits hin, was ihm u.U. eine Abmahnung einbringen könnte, und bekomme zu hören, dass ihm das scheißegal sei, und ich wohl glaube, dass ich ihm irgendetwas zu sagen hätte.
Wenn Menschen beschlossen haben, dass wir ihnen unsympathisch sind, gibt es nichts(!) was wir dagegen unternehmen können. Dieser Gedanke sollte uns aber nicht deprimieren, sondern vielmehr sollten wir die Freiheit erkennen die darin liegt. Nämlich die Freiheit unter allen Umständen das zu tun, was wir selbst für das Wahre, Gute und Schöne halten.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          





Ein paar Linktipps

http://dogen-zen.de/
Interessante Seite über Dogen Zenji und das Zazen wie ich es zu praktizieren versuche.


http://boingboing.net/2010/10/27/twenty-first-century-2.html
William B. Irvine, der Autor des Buches "A Guide to the Good Life!" beschreibt in drei Essays wie er von der ursprünglichen Faszination für den Zen-Buddhismus bei der Stoa gelandet ist. Leider nur in Englisch.


http://antaiji.org/?lang=de
Der in der Internet-Zen-Gemeinde derzeit wahrscheinlich berühmteste Zen-Tempel Japans unter dem Vorsitz des Deutschen Olaf Nölke alias Muho. Was er über die Gemeinschaft, die Verbundenheit aller Dinge, die Eigenverantwortlichkeit und die Pflicht schreibt erinnert mich sehr an die Stoa.


http://philosophyforlife.org/
Die Website zum gleichnamigen Buch von Jules Evans, das auch unter dem Titel: "Philosophie fürs Leben...und andere gefährliche Situationen" erschienen ist. Enthält einige, leicht verständliche Kapitel über die Stoa und ihre Anwendung in Krisensituationen.

http://newstoa.com/
Laut eigener Aussage die älteste und DIE einzig wahre stoische Internet-Gemeinschaft. Na gut ;-)

http://mariusbrede.de/
Ein Blog der die motivierenden Aspekte der Stoa beleuchtet und einige Bücher der antiken Stoiker rezensiert.

Montag, 2. September 2013

Warum sollte ein Stoiker Zazen praktizieren?

Die Stoa rät uns, nichts zu tun, was keinen Sinn hat. Gleichzeitig spricht man im Zen davon, dass Zazen uns "überhaupt nichts bringt". Welchen Grund also sollte es geben, dass ein Stoiker trotzdem meditiert?

In seinem Buch "Philosophie fürs Leben...und andere gefährliche Situationen" schreibt Jules Evans: "Viele moderne Stoiker meditieren." Leider geht er nicht näher auf dieses Thema ein.

Für mich persönlich haben sich aus der Beschäftigung mit der Stoa folgende Beweggründe herauskristallisiert Zazen zu praktizieren:

  1. Zazen ist eine Form "kosmischer Betrachtung". "(...) umfasse nur mit Deinem Geist das ganze Weltall, betrachte die ewige Dauer, und dann wieder die rasche Verwandlung jedes einzelnen Gegenstandes; welch kurzer Zeitraum liegt zwischen der Entstehung und der Auflösung der Geschöpfe, wie unermeßlich ist die Zeit, die ihrer Entstehung voranging, wie unendlich gleicherweise die Zeit, die ihrer Auflösung folgen wird!" (Mark Aurel-Selbstbetrachtungen, Buch 9, Vers 32).  Zazen erlaubt mir, mich mit etwas Höherem als mir selbst zu verbinden, Abstand zu gewinnen zu den Banalitäten des Alltags und das große Ganze aus höherer Warte zu betrachten.
  2. Zazen besteht aus dem Akzeptieren der Dinge wie sie sind, dieser eine Augenblick ist gut so wie er ist, trotz Schmerz, Langeweile, dem Impuls aufzuhören etc. Den Augenblick zu akzeptieren und IM Augenblick zu leben ist sowohl im Buddhismus als auch in der Stoa eines der großen Themen.
  3. Zazen ist eine Form des "freiwilligen Non-Komfort", wie es William B. Irvine in "A Way to the good Life" beschreibt. Oft wollen wir kein Zazen machen, oder haben Hunger, Durst, Langeweile oder Schmerzen dabei. Die Stoiker nahmen oft asketische Übungen wie freiwillige Armut auf sich, um ihren Geist für den "Ernstfall" zu stärken, oder die vorhandene Bequemlichkeit ihres Daseins neu schätzen zu lernen. Auch Zazen stärkt Willen und Durchhaltevermögen. Gleichzeitig nehme ich nach Zazen Sinneseindrücke wieder bewußter und intensiver wahr und erlebe oft eine Flut von Lebensfreude.
  4. Zazen ist eine Form der Entspannung und des Ruhe finden innerhalb des Karussells aus Pflichten und Vergnügungen des Alltags. Es erdet mich und führt mich auf das Wesentliche zurück. Auch wenn man glauben könnte, dass die Stoiker eine Art antiker Workoholics waren, die nur Pflichten kannten, war ihnen auch klar, dass der Mensch in seinen Aufgaben auch Maß halten sollte und der Ruhe bedurfte:"Arbeite! Aber nicht wie einer der bewundert oder bemitleidet werden möchte! Arbeite oder ruhe, wie es für die Gemeinschaft am besten ist!"-Mark Aurel
  5. Beim Zazen lassen wir die Gedanken vorüber ziehen ohne an ihnen zu haften. Durch diesen enstehenden "Raum" zwischen uns und unserem Denken lernen wir unsere Lieblingsgedanken, Fantasien, Interpretationen kennen. Das verschafft uns die Chance, diese auch im Alltag eher wahrzunehmen und zu verändern.
  6. Und Zazen ist letztendlich eine Möglichkeit uns jederzeit in uns selbst zurückziehen zu können, ohne dazu die Einsamkeit des Landes oder der Berge zu suchen, wie es Mark Aurel an mehreren Stellen empfiehlt.

Zen und Stoa- ein westlicher Weg zur "Erleuchtung"?



Herzlich willkommen!

Seit ich denken kann beschäftige ich mit der Frage:
"Wie soll der Mensch leben, damit er sein leben nicht verfehlt?"
Nachdem ich jahrelang dem Asia-Hype der 70er und 80er aufgesessen war, und mir nicht vorstellen konnte, dass es eine westliche Antwort auf diese Frage geben könnte, habe ich vor einigen Monaten die antike Philosphie der Stoa für mich entdeckt.

Dieser Blog heiß "Der ZenStoiker".
Ich bin der Ansicht, dass es erstaunliche Parallelen zwischen (Zen-)Buddhismus und Stoa gibt, die Stoa uns allerdings wesentlich konkretere und praktikablere Anweisungen für den Alltag gibt.
Zazen wiederum, die zentrale Praxis des Zen verhilft uns dazu unser Leben aus einer übergeordneten, kosmischen Perspektive zu betrachten, so wie das Mark Aurel in seinen "Selbstbetrachtungen" rät.

Zen und Stoa sollen Im Zentrum dieses Blogs stehen. Allerdings nicht deren theoretischen Hintergründe, darüber findet sich genug im Netz. Vielmehr möchte ich über die konkreten Erfahrungen aus meinem Alltag berichten. Vielleicht finden sich Leser, die das für ihr Leben als hilfreich empfinden.